MACHT.RECHT.GESELLSCHAFT?

Redebeitrag Demonstration am 01.07.2021

Posted: July 2nd, 2021 | Author: | Filed under: General | Comments Off on Redebeitrag Demonstration am 01.07.2021

Hier dokumentieren wir unseren Redebeitrag bei der Demonstration am 01.07.2021 in Münster zum geplanten Versammlungsgesetz NRW:

Ich bin heute hier vom AK Zu Recht Münster um inhaltlich über das geplante VersG zu sprechen, das ganz klar einen Angriff auf die Versammlungsfreiheit darstellt. Der Entwurf der Landesregierung reiht sich ein in eine repressive Politik, wie schon die Verschärfung des PolG 2018 deutlich machte.

An den einzelnen Maßnahmen im neuen Gesetz sehen wir, dass das VersG komplett aus einer polizeilichen und nichtaus einer grundrechtlichen Perspektive geschrieben ist. Und das ist der Landesregierung unter Laschet und auch Innenminister Reul und der FDP 100 % klar, auch wenn es jetzt zum Teil bestritten wird.

Zur Versammlungsfreiheit

Kurz zur Versammlungsfreiheit generell. Sie ist ein Freiheitsgrundrecht, das Personen vor Übergriffen der öffentlichen Gewalt schützen soll. Jede Person kann sich darauf berufen, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Umgekehrt muss sich der Staat für jeden Eingriff in die Versammlungsfreiheit rechtfertigen. Der Staat kann also durch ein Gesetz nur dann darin eingreifen, wenn die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs gewahrt ist. Verhältnismäßig ist der Eingriff nur, wenn die verschiedenen Interessen abgewogen werden. Verhältnismäßig muss zum einen das Gesetz selbst sein, das eingreift, aber auch das einzelne Handeln der Polizei vor Ort.

Das VersG ist so ein Gesetz, durch das in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eingegriffen wird. Darin wird geregelt unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Rechten und Pflichten sich Menschen versammeln können. Dabei ist die Verhältnismäßigkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Das heißt, dass im Einzelnen und unter Einbeziehung der Einzelumstände, Intensität des Eingriffs und der demokratiekonstitutiven Bedeutung der Versammlungsfreiheit abgewogen werden muss.

Dass die Versammlungsfreiheit nicht von alleine einfach da ist, obwohl sie uns im Grundgesetz garantiert wird, sondern sie eingefordert werden muss, haben wir am Samstag in Düsseldorf gesehen. Das haben wir aber auch schon in den 80er Jahren in Brokdorf gesehen. Dort wollten ca. 100.000 Personen rund um das Kraftwerk Brokdorf, das gerade im Bau war, demonstrieren. Die Großdemo wurde durch die Behörden verboten. Das war auch bekannt, aber Menschen haben sich trotzdem auf den Weg zur Versammlung gemacht mit der Aussage: Wenn ihr uns nicht zum Bauplatz lasst, ziehen wir eben durch die Städte. Die Polizei hat dann entschieden, die Leute zur verbotenen Versammlung zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht stellte in einem Beschluss später fest, dass die Versammlungsfreiheit = “unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit” und “eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt [ist], welches für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist” (Brokdorf-Beschluss, BVerfG).

Bei dieser Vorgeschichte könnte erwartet werden, dass der Gesetzgeber sich bemüht, die VersFreiheit zu schützen. Das tut die Landesregierung mit ihrem Entwurf aber nicht: Die Beschneidung der Versammlungsfreiheit zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Gesetz!

Zum Entwurf des VersG

Das Versammlungsverhinderungsgesetz wurde von der NRW-Landesregierung von CDU und FDP eingebracht. Die einzelnen Änderungen erschweren Versammlungen massiv und geben der Polizei vielmehr Möglichkeiten, in Versammlungen einzugreifen. Auch deshalb wurde der Entwurf zu recht als „schärfer als in Bayern“ (taz) bezeichnet.  NRW plant damit das härteste Gesetz im Vergleich zu den Versammlungsgesetzen anderer Bundesländer!

Durch den Entwurf wird beispielsweise die Anmeldung von Versammlungen erschwert, weil mehr Infos angegeben werden müssen und die Frist sich verlängert.

Super viele Begriffe im Gesetz sind außerdem extrem unbestimmt, d.h. sie können in viele verschiedene Richtungen ausgelegt bzw. interpretiert werden. Sowohl die Gesetzesbegründung als auch Presseäußerungen legen nahe, dass es hier insbesondere um die Verhinderung antifaschistischer und klimaaktivistischer Protestformen geht. Insbesondere Schwarze Personen und People of Colour werden auch weiterhin aufgrund des institutionellen Rassismus in der Polizei besonders stark von erweiterten Eingriffsbefugnissen betroffen sein.

Es soll außerdem mehr Videoüberwachung auf Versammlungen durch sogenannte Übersichtsaufnahmen ermöglicht werden (auch wenn wir dies auch schon jetzt von Demos kennen, kann die Polizei zumindest darauf verwiesen werden, dass sie das anlasslos nicht darf). Diese Videos sollen unter Umständen auch zur Identifikation von Einzelpersonen genutzt werden können. Neu ist auch, dass verdeckte Aufnahmen zulässig werden, obwohl solche bisher im Grundsatz offen durchgeführt werden müssen, was einen krassen Eingriff darstellt und sehr abschreckend sein kann, überhaupt an einer Versammlung teilzunehmen.

Außerdem enthält der Entwurf ein Störungsverbot und ein sog. Militanzverbot, das auch politisch völlig daneben ist. Das merkt mensch vor allem an der Gesetzesbegründung. Da werden SA und SS mit Ende Gelände-Aktivist*innen und dem „gefährlichen schwarzen Block“ in einem Atemzug als Beispiele genannt, was Reul auch neulich wieder in Interviews deutlich gemacht hat.

Wie wir am Samstag gemerkt haben, hätte es gravierende Auswirkungen, wenn das Gesetz so durchgeht, weil es der Polizei noch mehr Befugnisse geben würde. Unter dem öffentlichen Druck distanzieren sich jetzt plötzlich CDU und FDP zumindest zum Teil vom ursprünglich geplanten VersG. Sie möchten eine geringfügig „abgeschwächte“ Form des Entwurfes verabschieden, aber auch das ist nicht tolerierbar und würde die Versammlungsfreiheit nachhaltigbeschädigen.

Versammlungsverhinderungsgesetz

Deshalb lasst uns jetzt nochmal alle Energien bündeln und die Aufmerksamkeit nutzen, um das Gesetz komplett zu verhindern. Wir wissen, dass es hier nicht wie vorgegeben um den „Kampf gegen rechts“ geht, denn die extreme Rechte ist in Parteien organisiert und sitzt in Parlamenten und ist nach dem zahlreichen Aufliegen von Polizei-Chatgruppen mit volksverhetzenden Inhalten, Polizeigewalt und Toten in oder durch Polizeigewahrsam auch in der Polizei präsent. Der Plan der Landesregierung, das Gesetz in Zeiten der Pandemie, wo die VersFreiheit schon aus praktischen Gründen eingeschränkt ist, durchzubringen, wird nicht aufgehen! Wir brauchen keinen autoritären und repressiven Entwurf aus polizeilicher Perspektive, der nichts mehr von der Versammlungsfreiheit übriglässt. Gute Politik bewegt sich nicht an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit, sondern schützt verfassungsrechtlich garantierte Freiheiten so umfangreich wie möglich – insbesondere, wenn es um so sensible Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit geht.

Jetzt können wir nochmal so richtig laut sein, die Aufmerksamkeit ist jetzt da.

Deshalb nochmal: VERSAMMLUNGSGESETZ – STOPPEN JETZT!


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