Offener Brief gegen sexistische Diskriminierung von Studierenden der Universität Münster
Posted: December 17th, 2020 | Author: akzurecht | Filed under: General | Comments Off on Offener Brief gegen sexistische Diskriminierung von Studierenden der Universität MünsterStudierende unserer Fakultät haben sich zusammengetan und diesen offenen Brief (als PDF) gegen sexistische Diskriminierung in der juristischen Ausbildung verfasst. Wir unterstützen dieses Vorhaben – spread the word!
Sehr geehrtes Dekanat, sehr geehrte Professor:innenschaft,
sehr geehrtes Unirep-Team,
circa die Hälfte der Studierenden der Rechtswissenschaft an der Universität Münster sind Frauen. Wir wollen später einmal Richterinnen, Staatsanwältinnen, Rechtsanwältinnen, Professorinnen, Politikerinnen und Vorstandsvorsitzende werden, kurz gesagt: verantwortungsvolle und einflussreiche Berufe ausüben.
Wir studieren ganz bestimmt nicht Jura, um später einmal bloß die „Ehefrau“ des „gutverdienende[n] Akademiker[s]“ zu sein, die im Urlaub „einen Nervenzusammenbruch [erleidet] und […] in das nahegelegene Krankenhaus zur Behandlung gebracht werden [muss]“, weil ihr Hund durch eine einstürzende Decke verstirbt.[1]
Im täglichen Uni-Kontext werden wir zuhauf mit solchen Sachverhalten und Konstellationen konfrontiert, die uns vermitteln, dass die oben benannten Positionen Männern vorbehalten seien:
- Frauen wird in den allermeisten Sachverhalten eine dem „weiblichen“ Stereotyp entsprechende, untergeordnete (Neben-)Rolle zugewiesen: Ehefrau, Freundin, Nachbarin, Mutter. Diese Rollen sind konnotiert mit Attributen der Hysterie, Tollpatschigkeit oder Vergesslichkeit.
- Demgegenüber sind die Unternehmer, Kaufmänner, Eigentümer, Hersteller, Verrichtungsgehilfen, Abgeordneten, Akademiker etc. mehrheitlich Männer.
Das bildet erstens unsere heutige Gesellschaft nicht richtig ab und verstärkt zweitens fragwürdige Klischees. Bestehende, oft internalisierte Stereotype über Frauen werden so reproduziert. Diese Reproduktion zeigt sich auch in den Vorlesungen: Wenn es in dem Sachverhalt doch mal eine weibliche Unternehmerin U gibt, schleicht sich nur allzu oft in der Fallbesprechung ein, dass auf einmal selbstverständlich von „dem“ U die Rede ist – so sehr sind wir schon daran gewöhnt, dass es immer ein „er“ ist.
Fast noch vernichtender ist die zweite Form der Diskriminierung, die zu den gelegentlichen sexistischen Kommentaren in den Vorlesungen hinzukommt:
- Es gibt zahlreiche Sachverhalte, in denen Frauen schlichtweg nicht vorkommen und das nicht nur vereinzelt, sondern häufig auch aufeinanderfolgend in Kursskripten.
- Zudem werden wir Studierende oftmals ausschließlich mit der männlichen Form angeredet: Etwa in der Vorlesung: „liebe Teilnehmer/Studenten/Kommilitonen“ oder in Skripten, Online-Lektionen und Klausuren: „der Klausurschreiber/der Examenskandidat/der Bearbeiter/der Verfasser“.
Liegt es außerhalb der Vorstellungsmöglichkeiten, dass Frauen in der Rechtswissenschaft und in der Gesellschaft existieren, einflussreiche Positionen übernehmen, Raum einnehmen und präsent sind?
Vielleicht sind die Beispiele unbeabsichtigt und unbewusst zu sexistischen Fallkonstellationen geworden. Dann bitte: Hinterfragen Sie.
Vielleicht sind die Sachverhalte Gerichtsentscheidungen nachgebildet und die darin enthaltenen Rollenbilder entsprechen einem Minimal-Ausschnitt der Realität. Na und? Es gibt auch andere Realitäten und andere Lebenswege von Frauen, die repräsentiert gehören.
Natürlich ist es in Ordnung, wenn sich eine Frau selbstbestimmt dazu entscheidet, Mutter und Hausfrau zu sein. Das heißt aber nicht, dass Sie als Professor:innen an diese Sachverhalte gebunden sind: Drehen Sie die Fälle einfach um. Spielen Sie mit Rollenbildern, indem Sie sie umdrehen; verkehren Sie Stereotype in ihr Gegenteil und es wird sich zeigen, wie absurd sie teilweise sind.
Die Fälle sexistischer Sachverhalte sind mitnichten Einzelfälle, wie es die hamburgische Studie „(Geschlechter)Rollenstereotype in juristischen Ausbildungsfällen“ beweist.[2] Vielleicht mag der rechtswissenschaftliche Inhalt einer Vorlesung für die juristische Ausbildung maßgeblicher und vorrangig sein. Die verwendete Sprache aber hat einen enormen Einfluss auf Sie und auf uns Studierende. Es ist zudem nicht sonderlich schwer, geschlechtergerechte Sprache und nicht-sexistische Sachverhalte zu verwenden.[3] Sehr wenige Professor:innen tun dies bereits, es ist also durchaus möglich.
Deshalb hier ein paar Lösungsansätze für die Zukunft:
Hinterfragen Sie Ihre eigenen Materialien und reflektieren Sie: „Welche Rollenbilder vermittele ich? Welche Folgen hat das?“. Holen Sie sich Unterstützung für die kritische Durchsicht bei Ihren weiblichen studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften und der Gleichstellungsbeauftragten und ändern Sie Ihre Sachverhalte. Dieses Thema liegt mit Sicherheit nicht zum ersten Mal auf Ihrem Schreibtisch. Das Problem ist bekannt und strukturell verankert. Wie wäre es mit einem Seminar zu Geschlechtergerechtigkeit für alle Lehrenden? Entwickeln Sie mehr Sensibilität für und im Umgang mit Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts.
Wir wollen später einmal Richterinnen, Staatsanwältinnen, Rechtsanwältinnen, Professorinnen, Politikerinnen und Vorstandsvorsitzende werden. Und wir wollen, dass das in der juristischen Ausbildung an der Universität Münster anerkannt und angemessen abgebildet wird.
Mia Marie Kundy Paula Aguilar Sievers Maren Prüfer
Sarah Gottstein Astrid Naundorf Leoni Lake
Charlotte Sommer Jule Stebner Safa al Hayek
Emma Teske Anna Meier Nina Steinmetz
Rebekka Gengenbach Selin Özgüc Greta Aghamiri
Dilan Deniz Kilic Johanna Schlingmann Anna-Laura Askanazy
Inga Niedersberg Hannah Waegner Lina Elbel
Jessica Panhorst Katharina Ramesohl Ann-Sophie Altorjay
Louisa Sistig Hannah Reith Verena Goldapp
Katharina Ruck Leonie Kothe Silvia Nwadiuto Chike
Martha Schuldzinski Lisa Bauwens Jana Goebel
Lea Evers Sarah Keßler Natalie Lorenzen
Sonka Peters Sarah Aretz Emely Gerspach
Annkathrin Lindert Magdalena Schulz Amalia Kockerols
Isabel Hoffmann Hannah Helene Hülsmeyer Derya Neumann
Jennifer Höfling Anna Kebe Sarah Wegener
Louisa Jechel Katharina Ramesohl Nina Wunderlich
Linn Bertelsmeier Stefanie Moß Anne Waack
Johanna Schlegelmilch Franziska Brandenbusch Eva Maria Bredler
Pia Storf Marlene Stiller Jara Streuer
Natalie Kleinjan Rebecca Ohnesorge Lisa Schmidt
Marisa Schönewolf Raze Baziani
Tim Nau Paul Leonard Enderle Sebastian Rümmelein
Benedikt Hüls Johannes Kühle Till Kammerlohr
Johannes Domsgen Philipp Breder Fabian Müller
Kolja Eigler Johannes Helmbold Timon Klöpfer
Isaak Bicks Pablo Meissner Daniel Arjomand
Lukas Hünemeyer Jan Potthoff Benedikt Neßeler
Yannik Dönnebrink Daniel Leesmeister Thorben Pröpper
Jonathan Mommsen Felix Welsch Jan Wiemers
Philip Keeler Philipp Ziemons Till Stadtbäumer
Paul Bekker Laurenz Wulbeck Mathis Neuhäuser
Simon Haack Fabian Ollmert Alexander Bonn
Paul Bohmann Jan Niklas Scharrenbroch David Overmeyer
Jeremy Philipp Paul Stegemann Jost Weisenfeld
David Minkov Joshua Macheroux-Denault Fabian Endeman
[1] So das Beispiel in einem kürzlichen Fall des Unirep-Klausurenkurses, der einer originalen Examensklausur des JPA Hamm entspricht (WS2021Kl18ZR09).
[2] Valentiner, Dana-Sophie: (Geschlechter)Rollenstereotype in Juristischen Ausbildungsfällen. Eine hamburgische Studie. Gleichstellungsreferat Universität Hamburg 2017, https://www.jura.uni-hamburg.de/media/ueber-die-fakultaet/gremien-und-beauftragte/broschuere-gleichstellung.pdf, (zuletzt aufgerufen am 16.12.2020).
[3] Siehe den beigefügten Leitfaden für eine diskriminierungsfreie und gendergerechte Sprache in juristischen Ausbildungsfällen, erstellt vom AKJ Bochum.