Redebeitrag Demo am 18.05.2019
Posted: June 7th, 2019 | Author: akzurecht | Filed under: General | Comments Off on Redebeitrag Demo am 18.05.2019Hier dokumentieren wir unseren Redebeitrag bei der Demonstration “Solidarität kennt keine Grenzen!” der Seebrücke Münster:
Die Abschottungspolitik der Festung Europa kommt nicht von irgendwo, sondern folgt der Logik des europäischen Grenzregimes, welches eingebettet ist in die Struktur der globalen, kapitalistischen Gesellschaft, welche die ihr immanenten Krisen nicht bewältigen kann. Nationalistische Migrationspolitik führt zu einer inhumanen Abschottungspolitik. Wertungswidersprüche, welche dem Nationalstaat immanent sind, werden deutlich. Wie zum Beispiel die vielfach betonte Universalität der Menschenrechte im Kontrast zum Sterben an den Grenzen mit dem Ziel der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse. Dies zeigt sich aktuell (und in den letzten Jahren) an mehreren Punkten: Migrant*innen werden nach einer Logik des Ausnahmezustands behandelt und illegalisiert. Aktivist*innen erfahren Repressionen bei ihrer Arbeit; Seenotrettung und solidarische, humane Verhaltensweisen werden kriminalisiert.
Heute möchten wir über diese Kriminalisierung von Seenotrettung sprechen.
Wer auf See einen Notruf oder Kenntnis von einem Unglück erhält MUSS eingreifen und mit eigenem Schiff helfen. Dies ergibt sich u.a. aus verschiedenen Seerechtsübereinkommen wie die Search-and-Rescue-Konvention, die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen, das Internationale Abkommen über Seenotrettung und der EMRK innerhalb ihres Geltungsbereichs sowie Völkergewohnheitsrecht. Seenotrettung ist also ein Muss und nicht rechtlich verhandelbar. Allerdings wird sie zunehmend auf allen Ebenen kriminalisiert:
Was meinen wir mit Kriminalisierung?
Mit Kriminalisierung meinen wir Gesetzesänderungen und die Ausweitung der Auslegung von Gesetzen, die zur Strafbarkeit von Handlungen führt. Diese Gesetzesänderungen finden nicht im luftleeren Raum statt, sondern sind geprägt von den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen vor allem davon welche Politiker*innen an der Macht sind. Es entstehen immer mehr Straftatbestände: z.B. Gefährdung der Sicherheit von Seefahrt und Flughäfen, Spionage, Bildung krimineller Vereinigungen und Gesetze gegen Terror. In Italien findet das Anti- Mafia Gesetz Anwendung. Zum Teil werden Telefone abgehört und Bankkonten gesperrt. Diese Verschärfungen sind Reaktion auf einen vermeintlichen Rechtsruck und eine konsequente Abschottungspolitik. Auf verschiedensten Ebenen wird Seenotrettung behindert unter Ausnutzung von strukturellen bis zu praktischen Gegebenheiten u.a. durch die Politik der Friedensnobelpreisträgerin EU.
Ohne Zuordnung zu einem Flaggenstaat darf kein Schiff auslaufen. Momentan ist es so gut wie unmöglich ein Schiff in einem europäischen Land anzumelden, wenn der Verdacht besteht dieses werde zur Seenotrettung eingesetzt. Zulassungen werden sogar nachträglich aberkannt, bzw. der Genehmigungsgehalt der vorliegenden Dokumente wird nachträglich geleugnet. Diese Schikane betrifft nicht nur Search-and-Rescue-Schiffe, sondern auch solche, welche ausschließlich zur Beobachtung und Dokumentation auf dem Mittelmeer kreuzen. Wenn die systematische Verletzung von Menschenrechten auf dem Mittelmeer (und in lybischen Lagern) nicht mehr dokumentiert werden kann, wirkt es nicht ganz so scheinheilig, wenn Salvini, Seehofer und CO. das europäische Grenzregime ausbauen wollen und die Notwendigkeit privater Seenotrettung abstreiten.
Schiffe werden nicht nur am Auslaufen, sondern auch am Einlaufen gehindert. Mit der Mare Jonio wurde im März erstmals einem italienischen Schiff die Einfahrt in einen italienischen Hafen verwehrt. Auch der Aquarius wurde im letzten August mit 141 Geretteten an Bord ein sicherer Hafen verwehrt. Von der Sea Watch 3 konnten diese Woche 18 gerettete Personen das Schiff verlassen, für 47 wird weiter gekämpft.
Schiffe werden beschlagnahmt, mit der Begründung nur eine geringe Anzahl von Menschen fassen zu können und am erneuten Auslaufen gehindert. Nachträglich. Nachdem sie einige Jahre ungehindert gefahren sind und hunderte Menschenleben retten konnten. Ein weiterer Grund aus dem Schiffe beschlagnahmt werden, ist die Verhinderung der Begehung von Straftaten, da gegen die Crewmitglieder wegen Beihilfe zur illegalen Grenzüberschreitung ermittelt wird.
Allein 2018 wurden insgesamt 99 Menschen aufgrund ihrer Hilfeleistungen angeklagt oder verurteilt (2017 waren es noch 45 Personen). Teilweise wird ihnen auch Menschenschmuggel vorgeworfen und mit Schleppern zusammenzuarbeiten. Klare Beweise für diese Vorwürfe konnten in keinem der Gerichtsverfahren vorgelegt werden.
Erst diesen Dienstag wurde Kapitän Reisch von der Lifeline zu 10.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Aufgrund des Vorwurfs er habe sein Schiff nicht ordnungsgemäß gemeldet und die maltesischen Gewässer illegal durchschifft.
Nicht nur in Deutschland werden die möglichen Repressionen gegen Aktivist*innen in Form der vielerorts verschärften Polizeigesetze ausgeweitet, politischer Aktivismus zunehmend kriminalisiert und erschwert. Auch Salvini in Italien sieht in seinem neuen Gesetzentwurf, welcher unter anderem auch die Entscheidungshoheit über die Öffnung der Häfen alleinig dem Innenministerium, also ihm, zuteilen will, ein Verschärftes Vorgehen gegen Aktivist*innen und Demonstrant*innen vor, welche den Anweisungen der Polizei nicht Folge leisten.
Und trotz der Kriminalisierung jener Verhaltensweisen, gibt es immer mehr solidarische Aktionen. So auch heute. Bürger*innen-Aktionen sind die Antwort auf die große Zahl an Todesfällen und die Gefahren des europäischen Grenzregimes. Gesetze und Praktiken der EU, die zum Widerstand führen, werden und müssen weiter hinterfragt und angezweifelt werden.
Menschenleben auf hoher See werden zum Spielball europäischer Grenzpolitik!
Seenotrettung ist keine kriminelle Handlung, sondern eine lebensrettende Notwendigkeit!
Humanitäre, lebenswichtige Hilfe in Form der Seenotrettung ist für uns untrennbar verbunden mit einer Kritik an den bestehenden Verhältnissen, welche einem kapitalistischen Machtgefälle unterliegen. Allein die Tatsache, dass es ein zur Diskussion stehendes Politikum ist, Leben zu retten, reicht aus um das bestehende System der Grenzen und der Ausbeutung zu hinterfragen. Doch dies scheint jenen, die die Praxis der Abschottung als legitim erachten nicht auszureichen. Vielmehr sollen jene, welche diese inhumane und zutiefst widerliche Praxis hinterfragen, daran gehindert werden ihre Solidarität mit Menschen zeigen zu können. Es stellt eine Perversion dar, Seenotrettung zur politischen Disposition zu stellen.
Wir fordern die Einrichtung von legalen und sicheren Fluchtrouten nach Europa. Wir fordern einen Stopp der EU- Förderung von autoritären Regimen und Milizen, durch die Menschen sich gezwungen sehen ihr Leben auf dem Weg nach Europa aufs Spiel zu setzen und wenden uns grundlegend gegen das kapitalistische Herrschaftssystem. Wir fordern ein sofortiges Ende der Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung, die Einrichtung einer europaweiten, staatlichen Rettungsmission, sowie die Förderung der zivilen Seenotrettung! Wir fordern, eine aufrichtige Politik, Städte der Zuflucht, Humanität, Verteidigung der Menschenrechte und unbedingte Solidarität.
Gegen die Festung Europa! Seenotrettung ist kein Verbrechen!