Redebeitrag bei Demo am 11.07
Posted: August 20th, 2018 | Author: akzurecht | Filed under: General | Comments Off on Redebeitrag bei Demo am 11.07Hier dokumentieren wir unseren Redebeitrag auf der “Kein Schlussstrich”-Demo am 11.07. in Münster:
Die BAW als oberste Anklagebehörde hat ihren Job nur bedingt/nicht gemacht.
Wir appellieren heute an die Öffentlichkeit, die staatliche Mitverantwortung der Ermittlungs- und Verfolgungsbehörden, des Verfassungsschutzes, Politiker*innen, der Bundesanwaltschaft und deren Ignoranz, nicht zu vergessen. Die BAW leitete als Anklagebehörde die Ermittlungen im NSU-Prozess, d.h. sie gab die inhaltliche und strategische Ausrichtung der Aufklärung und Strafverfolgung maßgeblich vor. Sie ist dem Bundesjustizministerium gegenüber weisungsgebunden. Zur Durchführung der Ermittlungen bedient sich die BAW den Verfassungsschutzämtern und den Polizeibehörden.
Die BAW selbst hat vorsätzlich die vollständige Aufklärung des NSU-Komplexes be- und verhindert, indem sie
– sich von Anfang an auf das Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe und ihr nächstes Umfeld beschränkte und damit den Netzwerkcharakter des NSU ignorierte,
– die Aufklärung staatlicher Beteiligung an diesem Netzwerk zumindest behinderte und
– Informationen zurück hielt und Verfahrensbeteiligten immer wieder die Akteneinsicht verwehrte.
Darstellung des NSU als isoliertes Trio und Ignorieren des Netzwerkcharakters des NSU:
Schon in der Anklageschrift legte sich die BAW fest: Der NSU sei eine „singuläre Vereinigung aus drei Personen“ mit einem „eng begrenzten Kreis von wenigen Unterstützern“, der sich mit dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auflöste. Trotz aufdrängender Beweislage hielt die BAW während des fünfjährigen Prozesses an der Trio-These fest. Doch 13 parlamentarische Untersuchungsausschüsse und die Ermittlungen der Nebenklage haben gezeigt, dass es sich um einen breiten Unterstützer*innenkreis aus der rechtsradikalen Szene mit Verstrickungen zu staatlichen Behörden handelte. Es gibt Verbindungen zum THS, Combat 18 und V-Männern wie Primus, in dessen Firma Mundlos und Böhnhardt gearbeitet haben sollen.
Behinderung der Aufklärung der Beteiligung des Verfassungsschutzes:
Der GBA Werner Range (2011-2015) stellte schon in seiner Antrittsrede klar, dass „keine Spur von der Zwickauer Zelle zum Verfassungsschutz“ führe. Von Anfang an wurde also eine Mitverantwortung von staatlichen Stellen ausgeschlossen.[1] “Wenn ein V-Mann an den Taten beteiligt gewesen wäre“, so Range „hätten wir ihn eingesperrt und angeklagt. Wir haben überhaupt keinen Anlass, Angehörige anderer Behörden zu schützen, wenn sie in strafrechtlich relevanter Weise tätig waren. Es gibt keinen Grund, etwas zu vertuschen.”[2] (Zitat Ende) Diese Vorgehensweise bestätigte auch sein Nachfolger Herbert Diemer im Jahr 2017: „Fehler und Verstrickungen staatlicher Behörden hat es nicht gegeben, sonst wären sie verfolgt worden.“ Die BAW ging sogar noch weiter: Sie ließ Beweismittel wie Akten, aus denen Verbindungen des Verfassungsschutzes zu den Hauptangeklagten hervorgingen, vernichten.
Beispielsweise hat der GBA Lothar Lingen, einen Beamter des BfV, im Oktober 2014 im Geheimen vernommen. Lingen hat 2011 Akten über V-Leute geschreddert. Als dann im August 2015 die Nebenklage beantragte, Lingen als Zeugen zu laden, entgegnete die BAW die Behauptung der vorsätzlichen Aktenvernichtung sei eine Aussage ins „Blaue hinein und entgegen aller bislang vorliegenden Erkenntnisse spekulativ“. Spätestens seit der Aussage Lingens vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags 2016 ist jedoch unstrittig, dass die Akten vorsätzlich zum Schutz der eigenen Behörden vernichtet wurden, was die BAW stets geleugnet hatte.
Im Prozess stützte sich die BAW in ihrem Schlussplädoyer zuletzt in vielen Punkten auf die von der Nebenklage vorgebrachten Beweise. Andere werden dagegen gekonnt ignoriert, wie etwa die Untersuchung des Forensic Architecture Institute zur Verstrickung des V-Manns Temme im Kasseler Mord an Halit Yozgat. Auch hier haben andere die Arbeit übernommen, die spätestens nach Auffliegen des NSU im Jahre 2011 von staatlicher Seite hätte geleistet werden müssen. Erst wissenschaftliche Analysen, akribische Recherchen und ein unermüdlicher Aktivismus machen es möglich sich ein Bild zu machen, wie weitreichend sich der NSU-Komplex darstellt.
Geheimhaltung
Die BAW rechtfertigt die Nicht-Behandlung einiger Themenkomplexe damit, dass der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe nur ein Ausschnitt der Ermittlungen sei. Es gäbe weitere Ermittlungsverfahren. Als oberste Anklagebehörde entscheidet die BAW selbst, welche der gewonnenen Informationen veröffentlicht und welche geheim gehalten werden.
Unklar bleibt jedoch, warum wann gewonnene Erkenntnisse in den Prozess einführte bzw. nicht einführte. Laut Nebenklageanwältin Antonia von der Behrens erfolgte dies willkürlich. Zudem messe die BAW mit zweierlei Maß. Während Verhörprotokolle von Personen aus der rechten Szene und V-Leuten mit dem Argument des Schutzes ihres Persönlichkeitsrechts zurück gehalten wurden, sind polizeiliche Akten zu den Ermittlungen mit höchstpersönlichen Informationen über den engsten Umkreis der Familien der Ermordeten in den Prozess eingeführt und somit öffentlich gemacht worden.
Während des gesamten Prozesses wurden immer wieder systematisch Ermittlungsergebnisse zurückgehalten und Verfahrensakten nur sehr selektiv eingereicht oder zugänglich gemacht. Dadurch wurde insbesondere die Arbeit der Nebenklage, die bei der Aufklärung vollumfänglich berücksichtigt werden müsste, erheblich erschwert. Durch die Behinderung der BAW im Prozess blieb ihr die umfassende Rekonstruktion der Tatumstände verwehrt. So wissen die Familien der Ermordeten beispielsweise bis heute nicht, warum gerade sie ausgewählt wurden und welche potentielle Unterstützer*innenkreise vor Ort weiterhin existieren.
Die BAW hätte die Chance gehabt, Strukturen aufzuzeigen, Rassismus zu benennen und Verantwortlichkeit ein zu fordern. Dies wurde verpasst. Deswegen fordern wir Aufklärung.
Wir fragen:
Wer ist für die Mordserie, die Anschläge und den Terror verantwortlich?
Wer ist das Netzwerk und welche Rolle spielten die Verfassungsschutz-behörden und die Ermittler*innen bei der Vertuschung der Taten?
Warum wurden Informationen systematisch zurückgehalten?
Und welches Ziel verfolgte die BAW im Prozess?
Wir werfen der BAW vor, naheliegende Ermittlungen in der Neonazi-Szene erst gar nicht aufgenommen und die Aufklärungsbemühungen der Vertreter*innen der Nebenklage im Verfahren kontinuierlich erschwert zu haben. Durch die Fokussierung auf den NSU als abgeschottetes Trio hat die BAW Mitwisser*innen und Beteiligte aus der rechten Szene sowie staatlichen Behörden wider besseres Wissen geschützt.
[1] Anklage des Tribunals NSU-Komplex auflösen, S.68.
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/muenchen-streit-im-nsu-prozess-was-wollen-sie-schuetzen-1.2958468)